AI Cases im Banking – AI-Radar des Business Engineering Institute St.Gallen

Die Finanzindustrie beginnt durch die Nutzung von AI einen tiefgreifenden Wandel zu durchlaufen. Insbesondere der Einsatz von generativer AI eröffnet die Möglichkeit, neue Inhalte wie Texte, Bilder, Videos oder Musik zu erstellen. Wir haben im Herbst 2024 mit dem Aufbau eines AI-Radars begonnen, der systematisch Anwendungsfälle von Banken im deutschsprachigen Raum analysiert. Dieser Blogbeitrag bietet einen Überblick über Use Cases und Reifegrade im Bankensektor und gibt spannende Einblicke in den Status quo.

Die Reise der AI im Bankenwesen begann bereits in den 1980er Jahren bspw. dem Einsatz von AI-Programmen für die Steuer- und Finanzberatung. Der Kunde macht bspw. Angaben zu seinen Einkommensquellen, der Höhe der Ausgaben, des Vermögens, der Verbindlichkeiten des Versicherungsschutzes, der Vorsorgeleistungen (Rente und Versicherung), der Risikobereitschaft und der Lebensziele in einem ausführlichen Fragebogen und ein Gespräch mit einem Finanzplaner. Ziele können bspw. den Lebensstandard jetzt und im Ruhestand einschließen aber auch Alter der Pensionierung, angemessener Versicherungsschutz sowie Finanzierung des Studiums der Kinder. Das System bestimmt, welches Niveau dieser Ziele erreicht werden kann und entwickelt eine maßgeschneiderte Strategie für ihre Erreichung.[1]

Nach der Entwicklung von Algorithmen zur Risikomodellierung und Marktanalyse (basierend auf gelabelten Daten und maschinellem Lernen (ML)) in den 1990er-Jahren folgte der Einsatz von neuronalen Netzen und Deep-Learning (DL)-Techniken zur Betrugserkennung und für automatisierte Dienstleistungen. In den 2010er Jahren wurde die Nutzung von KI auf Chatbots, Robo Advisor und personalisierte Finanzberatung ausgeweitet. Durch den Einsatz von ML und Natural Language Processing (NLP) konnte die Kundeninteraktion und Effizienz verbessert werden. Seit den 2020er Jahren setzt die Finanzindustrie verstärkt auf KI für Automatisierung, Datenanalyse und Compliance. Mit Deep Learning und neuronalen Netzen können komplexe Datenmengen analysiert und Prozesse optimiert werden.

Mit der Einführung von Large Language Models (LLMs) haben sich die Rahmenparameter erneut verändert und zahlreiche neue Use Cases auf Basis unstrukturierter Daten werden möglich:[2]

  • Intelligente Kundeninteraktion: Chatbots und Voicebots, die komplexe Anfragen in natürlicher Sprache verstehen und bearbeiten, revolutionieren den Kundenservice.
  • Betrugserkennung: Echtzeit-Transaktionsanalysen ermöglichen präzisere und schnellere Identifikation verdächtiger Aktivitäten.
  • Personalisierte Beratung: Durch die Analyse von Kundenpräferenzen und Markttrends bieten Banken maßgeschneiderte Finanzlösungen.
  • Compliance-Automatisierung: Regulierungsberichte können effizient erstellt und analysiert werden.
  • Innovative Finanzprodukte: Neue, AI-basierte Produkte erschließen bisher ungenutzte Marktsegmente.

AI-Radar: Methodik und Erkenntnisse

Der AI-Radar basiert auf einer systematischen Analyse von Banken in der DACH-Region. Hierbei wurden einerseits die von der EZB beaufsichtigten Banken aus Deutschland (65) sowie Österreich (75) auf Basis öffentlich verfügbarer Quellen im Kontext ihres AI-Einsatzes analysiert. Gleiches wurde für die 15 größten Schweizer Banken durchgeführt. Insgesamt wurden 61 spezifische AI-Anwendungsfälle identifiziert. Diese wurden anschliessend in das am Business Engineering Institut St. Gallen entwickelte Bankmodell nach den betroffenen Prozessen (Managementprozesse, Frontoffice, Middleoffice, Backoffice und Supportprozesse) eingeordnet.[3]

Abbildung 1: Strukturierung der AI Use Cases auf Basis des Bankmodells

Jeder von einer Bank gefundene Use Case wird weiter detailliert klassifiziert, u.a. nach Reifegrad, eingesetzten Technologien (z.B. ML, NLP, DL), Entwicklungsansatz (intern, extern oder hybrid) und weiteren Faktoren.

Aufgrund der bisher ausschliesslichen Verwendung öffentlich verfügbarer Informationen ist die erste Version des AI-Radars mit Vorbehalt zu betrachten. So fällt auf, dass insbesondere im Bereich Front- und Middle-Office viele Use Cases auftauchen – in den anderen Bereichen hingegen deutlich weniger. Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass in den ersten Bereichen naturgemäß deutlich mehr kommuniziert wird. Entweder werden Kunden über den Einsatz von AI-basierten Chatbots etc. informiert oder es werden Produkte, die mit Hilfe von AI entwickelt wurden, offensiv präsentiert. Aus diversen Gesprächen mit Bankenvertretern wurde deutlich, dass insbesondere im Backoffice-Bereich viele Banken aktuell bereits AI einführen bzw. eingeführt haben, um z.B. die Abfrage von Weisungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so einfach wie möglich zu gestalten.

Abbildung 2: AI-Radar (Status 9/2024)

Im AI-Radar erscheinen einige spannende Use Cases. Im Bereich der Steuerungsprozesse nutzt die Commerzbank GenAI (ChatGPT) zur Ableitung einer EZB-Zinsprognose.[4] Im Frontoffice gibt es vor allem Use Cases zur Nutzung von Chatbots – so hat die Baloise Bank im E-Banking einen Bot im Einsatz, der sich proaktiv bei Nutzern mit einer Hypothek meldet und eine Verlängerungsoption anbietet.[5] Im Middle Office forscht die Deka an der Nutzung von BERT  zur Analyse von Anlageentscheidungen. Ziel ist es, die Stimmungslage in Pflichtmitteilungen von Unternehmen zu ermitteln. Konkret wird die Lesbarkeit, wie z.B. die Satzlänge, der Anteil von Fachbegriffen sowie das Verhältnis von Zahlen zu Wörtern mit Hilfe von NLP analysiert.[6]

Betrachtet man die einzelnen Prozessebenen, so ergibt sich folgendes Bild: Im Frontoffice liegt der Fokus auf generischen Chatbots sowie spezifischen Fragestellungen bzw. Zielgruppen oder Technologien mit über 50% LLM-Einsatz. Beispiele sind generische Chatbots sowie Bots im Kontext der Hypothekarofferte bzw. -prolongation, Twint-App[7], Chatbot/Suchdienst für Dritte (z.B. auch Journalisten, Bewerber), Avatare bis hin zur Bestellung von Auszügen via Voicebot.

Im Backoffice liegt der Schwerpunkt der AI-Cases bei Kreditprüfungen, ESG-Reportings und Optimierungen der Kundenansprache mit weniger als 10% LLM-Einsatz. Im Middleoffice sehen wir Schwerpunkte in den Bereichen Marktprognosen, Berichtserstellung und generisches oder spezifisches Risikomanagement. Hier werden LLMs in mehr als 10% der Anwendungsfälle eingesetzt. Use Cases sind u.a. die Prognose von Marktentwicklungen (Aktienkurse, Rohstoffe & Währungen, Indizes, Liquidität), die Erstellung von fundamentalen Finanzanalysen, Programmierung, Corporate Governance (Risikoerkennung) sowie die Erkennung von Insiderhandel und die Optimierung von Prozessen.

Bei den Support-Prozessen sehen wir eine Vielzahl von Anwendungskonstellationen, wobei mehr als 20% der Fälle LLMs nutzen. Use Cases finden sich in den Bereichen Marketing, Spesenmanagement & interner Avatar, Cloud Migration, Transformation, Cyberangriffe / Betrugsprozesse sowie im Kontext der Verbesserung von IT & datengetriebenem Business.

Der AI-Radar wird kontinuierlich weiterentwickelt. Aufgrund dem bisherigen Fokus des  Radars auf öffentlich zugängliche Informationen werden in einem nächsten Schritt die Partner des Competence Center Future Financial Services (15 Banken und Anbieter aus der DACH-Region) zu ihrem KI-Einsatz detailliert befragt. Zudem wird der Fokus auf Banken aus dem Euroraum erweitert, um weitere innovative Use Cases zu erfassen.[8] Ein weiterer Aspekt, der integriert wird, ist die Bewertung der Angebotsseite wie IT-Provider der Finanzindustrie, um innovative Lösungen zu berücksichtigen, möglicherweise noch bevor sie implementiert werden.

Viele Banken, denen es an Erfahrung im Umgang mit «anspruchsvollerer» AI mangelt, beginnen mit dem Backoffice und den Support-Prozessen und nähern sich dem Frontoffice erst, wenn ausreichende Expertise und kulturelle Bereitschaft vorhanden sind. Dadurch wird auch vermieden, dass mögliche Risiken, die sich aus dem Einsatz von KI ergeben, durch den Kunden erlebt werden.

Fazit

Das AI-Radar 2024 gibt einen Überblick, welche Bank welche AI-Use Cases für welche Prozesse umgesetzt hat. Weitere Informationen wie Art der AI, Anbieter und Anpassungsaufwand werden – soweit kommuniziert – ebenfalls erfasst.

Die Potenziale von intelligenten Chatbots bis hin zu Marktanalysen sind enorm. Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen Banken aber nicht nur in die Technologie investieren, sondern auch in die Mitarbeitenden und deren Fähigkeiten und Mindset sowie in die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen.


[1] Kindle et al. (1989). PFPS – Personal Financial Planning System. IAAI-89 Proceedings. S. 38-44. https://cdn.aaai.org/IAAI/1989/IAAI89-007.pdf

[2] Zu einer detaillierten Analyse von LLM’S vgl. den dreiteiligen Large Language Models: Entstehung-Nutzung-Weiterentwicklung | cc-bei.news.

[3] Zerndt (2020). Bankmodell. Gabler Banklexikon. https://www.gabler-banklexikon.de/definition/bankmodell-70673

[4] Wagner (2024). Wie ChatGPT bei EZB-Prognosen hilft. Commerzbank. https://www.commerzbank.de/konzern/newsroom/publikationen/240726wifchatgpdezbprognosen.html

[5] Baloise (o.D.). https://www.baloise.ch/de/privatkunden/konten-karten-finanzierung/services/e-banking-baloise/chatbot/bedingungen-und-datenschutzhinweise.html

[6] Deka (o.D.). Mehrwert durch künstliche Intelligenz. https://www.deka.de/deka-gruppe/media–research/was-uns-bewegt/mehrwert-durch-kuenstliche-intelligenz

[7] Der Chatbot «Lou» der LUKB beantwortet aktuell Fragen rund um das Thema TWINT, inklusive Download-Option von TWINT. https://www.zugerkb.ch/zugerkblog/posts/kennen-sie-mona

[8] Evident (2024). The Evident AI Index. https://evidentinsights.com/ai-index/


Stefanie Auge-Dickhut