Bitcoin als produktiven Vermögenswert richtig verstehen: Teil 2
Im ersten Teil dieses zweiteiligen Blogbeitrags haben wir Bitcoin als neuartigen monetären Vermögenswert vorgestellt und die Notwendigkeit zur produktiven Renditegenerierung erörtert, damit Bitcoin den nächsten Schritt in seiner Evolutionsphase gehen kann.
Im zweiten Teil betrachten wir nun drei Perspektiven zu Bitcoin-Renditeprodukten in Bezug auf deren Vertrauenswürdigkeit, und bewerten die damit einhergehenden Risiken und Kompromisse. Basierend auf den Erkenntnissen definieren wir, was wir als den Goldstandard eines Bitcoin-Renditeprodukts betrachten und erläutern, was für Banken und deren Kunden daraus zu schlussfolgern ist.
Vertrauen ist ein Spektrum
Ein Bitcoin-basiertes Finanzsystem wird notwendigerweise in Schichten aufgebaut sein, denn auch das heutige Finanzsystem ist mehrschichtig und kennt eine inhärente Hierarchie der geldähnlichen Vermögenswerte.
Um das Potenzial von Bitcoin als produktiven Vermögenswert richtig abschätzen zu können, gilt es die technischen Zielkonflikte (Trade-offs) zu verstehen, welche damit einhergehen. Wer also heute eine Renditelösung auf Bitcoin baut, sieht sich gezwungen, dies entlang eines dreifachen Spektrums der Vertrauenswürdigkeit zu tun:
- Konsens
- Vermögenswert
- Rendite
Alle diese Aspekte können wir nach dem Grad ihrer Bitcoin-Verbundenheit (Nativeness) bewerten. Je näher ein Bitcoin-Renditeprodukt am Kernprotokoll von Bitcoin angelehnt ist, ohne zusätzliche Abhängigkeiten einzuführen, desto näher ist es am Vermögenswert Bitcoin und seinem dezentralen Konsens zur Erfüllung von wesentlichen Sicherheitsgarantien ausgerichtet, was das Renditeprodukt somit vertrauenswürdiger macht.
Es verringert sich folglich das Gegenparteirisiko und die Lösung steht weniger in Abhängigkeit von zentralen Intermediären, sondern von Open Source Code. Diesen erachten wir als transparenter und widerstandsfähiger als Intermediäre, da dieser öffentlich eingesehen und verstanden werden kann und durch die breite Userbasis Sicherheitslücken schneller entdeckt werden. Letztere sind notgedrungen ausserhalb der Bitcoin-Blockchain (“off-chain”).
Die verschiedenen Abhängigkeiten und deren unterschiedliche Zielkonflikte sind es wert, genauer erforscht zu werden. Letztlich sollte das Ziel aus Sicht der Bitcoin-Community (und der erweiterten Finanzwelt) darin bestehen, Optionen einer sogenannten nativen Rendite auf Bitcoin zu ermöglichen. Als solche wären diese in der Theorie möglichst nahe mit Bitcoin in Einklang gebracht, sodass ausser der Bitcoin-Abhängigkeit kaum weitere hinzukommen, und eine solche Renditelösung somit als Goldstandard zu betrachten ist.
Blick auf den Konsens
Hier stellen wir uns die Frage, wie nah die einem Renditeprodukt zugrunde liegende (Protokoll-)Sicherheit am Konsens der Bitcoin-Blockchain ist. Wir können unserer Meinung nach zwischen vier verschiedenen Kategorien unterscheiden:
- Kein Konsens (no consensus): Als zentralisierte Plattformen bieten Kryptobörsen die Drittverwahrung an, das heisst, sie haben die volle Kontrolle über die Vermögenswerte der Nutzer. Da die Nutzer die Kontrolle über ihre Bitcoin an Drittanbieter abgeben und entsprechend in der Abhängigkeit einer Kryptobörse als Gegenpartei stehen, sind sie potenziellen Risiken ausgesetzt. Die von Kryptobörsen angebotenen Renditelösungen verwenden «nur» den Vermögenswert BTC, während die eigentliche Renditestrategien meist off-chain durch den Einsatz traditioneller Finanzmechanismen umgesetzt werden. Zum Beispiel durch Vergabe von BTC-basierten Krediten an institutionelle Gegenparteien des Anbieters (z.B. Ledn), deren Zinsen dem Kunden der Börse gutgeschrieben werden. Damit ähneln diese Renditeprodukte den Angeboten traditioneller Finanzinstitute.
- Eigenständiger Konsens (standalone consensus): Die Basisinfrastruktur ist dezentralisiert und wird durch eine öffentliche Blockchain mit einem verteilten Konsens repräsentiert. Das Besondere daran ist, dass die jeweilige Blockchain ihren eigenen Konsensmechanismus hat, der unabhängig von Bitcoin ist. In diesem Fall besteht auch keine Absicht, die entsprechende Blockchain in irgendeiner Weise an Bitcoin zu binden. Beispiele für diese Kategorie sind öffentliche Blockchains wie Ethereum, BNB Chain, Solana, Polkadot, Dfinity und andere.
- Übernommer Konsens (inherited consensus): In diesem Fall ist die Basisinfrastruktur ebenfalls dezentralisiert und wird durch eine Bitcoin-Sidechain oder einen Bitcoin-Layer-2 mit verteiltem Konsens repräsentiert. Obwohl auch eine Bitcoin-Sidechain ihren eigenen Konsensmechanismus hat, zielt sie darauf ab, ihren Konsens und damit die Sicherheit der Sidechain möglichst eng an die Bitcoin-Blockchain anzulehnen, da diese die grösste kryptographische und ökonomische Sicherheit im Digital Asset Bereich aufweist. Beispiele hierfür sind föderierte Sidechains wie Rootstock, Liquid Network oder Stacks.
- Nativer Konsens (native consensus): Hierbei nutzt die Basisinfrastruktur den nativen Konsensmechanismus von Bitcoin als das zugrunde liegende Sicherheitsmodell. Es gibt weder eine eigene Blockchain noch eine Sidechain, sondern ein dezentrales Netzwerk von Off-Chain-State Channels (Zahlungskanälen), die kryptografisch mit der Bitcoin-Blockchain verbunden sind. Das Lightning-Netzwerk ist ein solches Peer-to-Peer-System, welches kostengünstige und skalierbare Transaktionen zwischen Peers ausserhalb der Bitcoin-Blockchain ermöglicht, und nur endgültige Salden auf die Blockchain zurückschreibt. Für Zahlungen werden Gebühren fällig, die den Peers gutgeschrieben werden, die Liquidität zwischen Sender und Empfänger der Zahlungen herstellen. Dafür ist kein zusätzlicher Konsensmechanismus erforderlich, man kann sich vollständig auf die kryptographische Sicherheit und den Konsens der Bitcoin-Blockchain verlassen. Das Funktionieren einer solchen Lösung setzt daher kaum zusätzliches Vertrauen voraus und gilt als vertrauensminimierte Lösung.
Je näher ein Bitcoin-Renditeprodukt an Bitcoins nativem Konsens ist, desto näher und direkter ist es mit Bitcoin verbunden. Generell gilt auch, dass ein Bitcoin-Renditeprodukt als umso vertrauenswürdiger angesehen werden kann, je näher und direkter die Konsensebene an der Bitcoin-Blockchain ausgerichtet ist, da dann keine über das Bitcoin Protokoll hinausgehenden Sicherheitsanforderungen existieren.
In Bezug auf die Kategorien eigenständiger und übernommener Konsens gibt es Nuancen, da dort der Grad der Dezentralisierung und der Sicherheit der zugrunde liegenden Infrastruktur variieren kann. Während der Bereich kein Konsens den niedrigsten Grad an Dezentralisierung und Vertrauensreduktion aufweist, bietet ein nativer Konsens den höchsten Grad an Vertrauensreduktion.
Blick auf den Vermögenswert
Geht es um die Thematik des Vermögenswertes, dann können wir eine ähnliche Frage stellen: Wie eng ist der vom Bitcoin-Renditeprodukt verwendete Vermögenswert mit dem Vermögenswert Bitcoin (BTC) verknüpft? Hier lassen sich entsprechend unserer Meinung nach drei verschiedene Kategorien unterscheiden:
- Nicht-BTC (non BTC): Zu dieser Kategorie gehören Lösungen, die andere Vermögenswerte als BTC verwenden, was zu einem geringen Grad an Verbundenheit mit Bitcoin führt. In diese Kategorie kann die Stacking-Option von Stacks, einer Layer-1-Blockchain-Lösung, eingeordnet werden. Beim Stacking wird der Stacks-eigene Coin STX für einen bestimmten Zeitraum eingesperrt, um zur Sicherheit und zum Betrieb des Stacks-Netzwerks beizutragen. Dafür wird der «Stacker» mit einer nativen Bitcoin-Rendite in BTC entlohnt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Stacks eine weitere Möglichkeit der Renditegenerierung anbietet, die weiter unten erwähnt wird (Abschnitt Rendite).
- Tokenisierte BTC (tokenized BTC): Hier ist die Bitcoin-Verbundenheit höher als in der ersten Kategorie. Wir finden hier tokenisierte Versionen von BTC auf öffentlichen Blockchains mit einem eigenständigen Konsens wie Ethereum (WBTC, renBTC, tBTC), BNB chain (wBTC), Solana (tBTC), Polkadot (Interlay BTC), Dfinity (ckBTC) und andere. Zu dieser Kategorie gehören auch eine Reihe von tokenisierten BTC-Versionen, die sich auf Bitcoin-Sidechains befinden. Bei tokenisierten BTC ist auch die Dezentralisierung wichtig. Konkret betrifft dies den Grad der Dezentralisierung des sogenannten Pegging-Mechanismus. Dieser sorgt dafür, dass die Vermögenswerte jeweils zwischen den beiden separaten Konsensnetzwerken übertragen werden können.
- Native BTC (native BTC): Dies bedeutet, dass der verwendete Vermögenswert auf der Bitcoin-Blockchain (BTC) liegt und keine tokenisierte Version irgendeiner Art beteiligt ist. In dieser Kategorie ist die Bitcoin-Verbundenheit am höchsten, da BTC selbst verwendet wird. Verschiedene Lösungen von zentralen Kryptobörsen (Centralized Exchange kurz CEX) verwenden BTC als Asset direkt z.B. in Form einer Sparlösung, in dem die für einen Zeitraum eingesperrten BTC zu einer Rendite führen. Auch gibt es neue «on-chain» (auf der Blockchain) Entwicklungen wie das Bitcoin-Einsatzprotokoll von Babylon und das Liquid Staking Protokoll von Stroom. Babylon zielt darauf ab, die Sicherheit von Bitcoin zu skalieren, indem es Proof-of-Stake-Mechanismen für Bitcoin-Staking adaptiert. Stroom verwendet das bereits erwähnte Lightning-Netzwerk, um Liquid Staking zu ermöglichen. Dazu werden die auf das Lightning-Netzwerk aufgeladenen BTC von Stroom benutzt, um diese effizient und ökonomisch rentabel für Zahlungen zwischen Peers einzusetzen und damit Gebühren einzunehmen. Diese Einkünfte werden dann als tokenisierte Bitcoin Versionen wie stBTC und bstBTC auf EVM-basierten Blockchains wie z.B. Ethereum an die Nutzer ausgeschüttet und können dann im existierenden dezentralen Finanzprotokoll (DeFi) Ökosystem von Ethereum, z.B. zum Verleihen und Leihen, eingesetzt werden.
Blick auf die Rendite
Auch in Bezug auf die Rendite stellt sich die Frage der Bitcoin-Verbundenheit. Hier können wir unserer Meinung nach die gleichen Kategorien anwenden, die wir für den Teil der Vermögenswertbetrachtung oben verwendet haben, nämlich nicht-BTC, tokenisierte BTC und native BTC:
- Nicht-BTC-Rendite: Hierunter fällt das oben bereits erwähnte Babylon-Protokoll. Die Rendite wird in Form des nativen Vermögenswerts der jeweils gewählten PoS-Blockchain ausgezahlt, dessen Sicherheit durch den Staking-Mechanismus von Babylon erhöht wird.
- Tokenisierte BTC-Rendite: Bei Stroom erhält der Nutzer seine Rendite in Form eines lnBTC-Tokens. Der Ertrag liegt somit in Form tokenisierter BTC vor. Sovryn, das auf Rootstock läuft, ermöglicht das Verleihen und Ausleihen von Bitcoin unter Verwendung der tokenisierten BTC-Version RBTC, die als Rendite ausbezahlt wird. Im Liquid Network gibt es die Blockstream Mining Note (BMN), ein EU-konformer Security-Token, denominiert in USDT. Dieses Produkt bietet qualifizierten Anlegern Zugang zur Bitcoin-Hashrate. Bei Fälligkeit wird der geschürfte Bitcoin an die jeweiligen BMN-Token-Inhaber in BTC oder L-BTC (tokenisierter Bitcoin-Version) geliefert. Renditeanwendungen auf Stacks, die sBTC verwenden werden (der Rollout dafür ist für August 2024 geplant), zahlen die Rendite in tokenisierten BTC aus.
- Native BTC-Rendite: Bei der Stacking-Option von Stacks fallen die Erträge jedoch in nativen BTC an. Auch zentralisierte Renditeprodukte, die von bestimmten CEXs angeboten werden, liefern den Nutzern native BTC als Rendite. Genauso gibt es im Bereich der Bitcoin-Blockchain-nahen Lösungen Entwicklungen wie unter anderem von Brick Towers, die daran arbeiten im Lightning-Netzwerk auf Basis der Zahlungsflows und der daraus generierten Gebühren BTC als native Rendite zu erwirtschaften.
Schlussfolgerung
Bitcoin-basierte Renditeprodukte existieren heute bereits in den verschiedensten Arten, Formen und Abstufungen. Die Komplexität dabei ist enorm, erstrecken sich diese Renditelösungen doch entlang eines Spektrums der Vertrauenswürdigkeit, das verschiedene Komponenten umfasst.
Häufig positionieren sich die einzelnen Lösungen aus Marketinggründen so, als würde die Renditelösung vollkommen und nur auf Bitcoin basieren. Doch der Teufel steckt im Detail. Zum einen stellt sich die Frage, auf welcher Basisinfrastruktur die Renditelösung fusst und inwiefern diese auf die Bitcoin-Blockchain selbst ausgerichtet ist.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Bitcoin (BTC) als Vermögenswert verwendet wird oder vielleicht doch “nur” eine tokenisierte Bitcoin-Version oder gar ein gänzlich anderes Kryptoasset involviert ist. Die gleiche Frage betrifft auch die eigentliche Rendite und in welchem Vermögenswert die Auszahlung tatsächlich geschieht.
Insgesamt wachsen durch die steigende Popularität von Bitcoin und seine zunehmende Verbreitung als Investitionsvehikel die Erwartungen von zukünftigen Bankkunden stark. Sie machen es erforderlich, dass Banken einen Zugang zu solchen Rendite-Produkten nicht nur in verbriefter Form wie z.B. als Bitcoin ETF mit Yield-Komponente, sondern auch in seiner nativen kryptographischen Form in einer angemessenen Infrastruktur anbieten. Daher bietet es sich für Banken an, nicht nur die Beobachterrolle (siehe den Blogartikel von Dominik Jocham zu den Positionierungsmöglichkeiten für Banken im Kontext von Digital Assets) einzunehmen, sondern auch als Erkunder oder sogar Entdecker auf dem Digital Assets Markt aufzutreten. Dies ermöglicht ihnen, die Entwicklung innovativer Produkte aktiv voranzutreiben, sich als attraktiver Arbeitgeber für talentierte Fachkräfte zu positionieren und den Schweizer Finanzplatz als internationalen Innovationsführer zu etablieren.
Dazu müssen die technische Struktur und die Verknüpfung der genutzten Vermögenswerte und Renditemechanismen detailliert analysiert werden, um die Vertrauenswürdigkeit und Risiken von Bitcoin-Renditeprodukten korrekt einschätzen zu können. Dies erfordert ein ähnliches Mass an Risikomanagement wie bei traditionellen Finanzprodukten. Um diese Risiken zu minimieren, sollten Banken bevorzugt Produkte wählen, die einen hohen Grad an Dezentralisierung und eine enge Verknüpfung mit der nativen Bitcoin-Blockchain aufweisen.
Der Goldstandard auf Bitcoin: Durch und durch nativ
Wer das ideale Bitcoin-basierte Renditeprodukt schaffen möchte, muss die folgenden drei Attribute kombinieren: Nativer Bitcoin-Konsens, nativer Bitcoin-Vermögenswert und native Bitcoin-Rendite. Ein solches Produkt würde eine nahezu perfekte Bitcoin-Verbundenheit aufweisen.
Quellen:
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