Transformation der Finanzmarktinfrastruktur in der Schweiz: Die Rolle von Stablecoins und Deposit Tokens

Die Diskussion über digitale Geldformen, insbesondere Stablecoins und Deposit Tokens, hat sich in den letzten Jahren von theoretischen Konzepten zu praktischen Herausforderungen entwickelt. Stablecoins, die darauf abzielen, einen stabilen Wert gegenüber einem Referenzwert zu halten, spielen dabei eine zentrale Rolle bei der Verbindung traditioneller Finanzsysteme mit DLT-basierten Infrastrukturen. Gleichzeitig wächst das Interesse an tokenisierten Bankeinlagen, sogenannten Deposit Tokens, die als Mittel zur Digitalisierung des Interbankenverkehrs dienen. Der Schweizer Finanzplatz bietet dank seines technologischen Know-hows und einer fortschrittlichen Regulierung ein Umfeld, das experimentelle Vorstösse über das Stadium von Konzeptstudien hinaus begünstigt. In diesem Beitrag werden zunächst grundlegende Definitionen und Unterschiede zwischen Stablecoins und Deposit Tokens erläutert, bevor aktuelle Entwicklungen in der Schweiz beleuchtet werden. Abschliessend werden die strategischen, prozessualen, technologischen und übergreifenden Implikationen für Banken diskutiert.

Stablecoins und Deposit Tokens – eine kurze Übersicht

Stablecoins und Deposit Tokens stehen für zwei unterschiedliche Ansätze der Digitalisierung des Geldes. Stablecoins sind Krypto-Vermögenswerte, die einen stabilen Wert im Verhältnis zu einem bestimmten Vermögenswert oder einem Korb von Vermögenswerten – meist Währungen – bewahren sollen (European Parlament, 2021; Bank for International Settlements, 2022). Im Jahr 2024 hat die FINMA die regulatorischen Anforderungen an Stablecoin-Emittenten präzisiert. Emittenten von Stablecoins benötigen künftig eine Banklizenz und müssen strikte KYC- und AML-Verfahren beachten (Kuster, 2025). Damit werden inländische Stablecoin-Projekte enger an das klassische Bankaufsichtsregime angebunden. Um „Runs“ zu vermeiden, fordert das FSB zudem effektive Stabilisierungsmechanismen, klare Rücktauschrechte (d.h. der tausch in klassische Währung) und angemessene aufsichtsrechtliche Anforderungen (Financial Stability Board, 2023). Ein bekanntes Beispiel für die Anfälligkeit sogenannter algorithmischer Stablecoins (d.h. durch Algorithmen statt Reserven stabilisiert) ist TerraUSD (UST). Dieser Stablecoin sollte immer eins zu eins an den US-Dollar gebunden sein, verlor jedoch im Mai 2022 innerhalb weniger Tage diese Bindung (Bank for International Settlements, 2022; Financial Stability Board, 2023; Liu et al., 2023). Viele Anleger zogen gleichzeitig ihr Geld aus dem Anchor-Protokoll auf der Terra-Blockchain ab. Dadurch kamen Zweifel auf, ob das System zur Stabilisierung des Stablecoins dauerhaft funktionieren kann. Die massiven Abflüsse aus Anchor weckten Zweifel an der Tragfähigkeit des zugrunde liegenden Mechanismus (Liu et al., 2023). Der Stabilisierungsmechanismus von TerraUSD, der auf dem Austausch mit dem Token LUNA beruhte, versagte, weil keine realen Sicherheiten hinterlegt waren (Liu et al., 2023). Als immer mehr Nutzer ihre UST verkauften und in LUNA tauschten, stieg das Angebot an LUNA stark an, während dessen Preis gleichzeitig einbrach. Dadurch entstand eine sogenannte «death spiral», in der beide Token rasch an Wert verloren (Adrian, 2022).

Während Stablecoins in erster Linie als marktbasierte Krypto-Vermögenswerte fungieren, digitalisieren Deposit Tokens bestehende Sichteinlagen («Giralgeld») innerhalb des beaufsichtigten Finanzsystems und tragen so zur Transformation der zugrunde liegenden Zahlungs- und Abwicklungsinfrastruktur bei. Sie verbinden die Sicherheit regulierter Bankeinlagen mit der Effizienz und Programmierbarkeit verteilter Ledger-Technologien. Ein Deposit Token ist ein auf Distributed-Ledger-Technologie (DLT) basierendes Zahlungsmittel, das dem traditionellen Einlagensystem ähnelt und auf diesem aufbaut (Schweizerische Bankiervereinigung, 2024). Er ermöglicht Nutzern, Transaktionen über eine innovative Infrastruktur auf Basis von DLT und Smart Contracts abzuwickeln (Schweizerische Bankiervereinigung, 2024). Ein aktuelles Beispiel liefert das von der Schweizerischen Bankiervereinigung koordinierte Deposit-Token-Pilotprojekt, bei dem UBS, PostFinance und Sygnum erstmals eine rechtsverbindliche Interbankzahlung auf einer öffentlichen Blockchain durchgeführt haben (Schweizerische Bankiervereinigung, 2025a; Sygnum Bank, 2025). Ein ähnlicher Ansatz wird auch in Deutschland verfolgt, wo eine Initiative unter Führung der Deutschen Bank, DZ Bank, Commerzbank und der Bundesbank an einem Giralgeldtoken („CBMT“) arbeitet. Dieser soll – analog zu den Schweizer Deposit Tokens – tokenisierte Sichteinlagen repräsentieren und als digitales Interbank-Settlement-Asset dienen (vgl. German Banking Industry Committee, 2023). Beide Modelle verfolgen das Ziel, buchgeldbasierte Liquidität in DLT-Marktinfrastrukturen einzubetten und klassische Zahlungsprozesse zu automatisieren. Die Einordnung von Deposit Tokens und Stablecoins in das traditionelle Währungssystem ist in Abbildung 1 illustriert.

Abbildung 1: Taxonomie der Geldformen (angelehnt an Schweizerische Bankiervereinigung, 2025c)

Stablecoins und Deposit Tokens in der Schweiz: Wegmarken einer programmierbaren Geld- und Abwicklungsarchitektur

Die Schweizerische Bankiervereinigung betont in ihrem Expertenbericht, dass Stablecoins das Potenzial besitzen, die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs zu beschleunigen, insbesondere durch kürzere Abwicklungszeiten und geringere Transaktionskosten (Schweizerische Bankiervereinigung, 2025c). Ähnliche Vorteile gelten auch für Deposit Tokens, die Effizienzen des aktuellen monetären Systems sogar verbessern können, beispielsweise durch eine Smart Contract basierte Abwicklung von Transaktionen (Bank for International Settlements, 2023). Die Schweiz zählt heute zu den aktivsten Jurisdiktionen im Bereich digitaler Geldformen. Sowohl Stablecoin-Emissionen als auch Pilotprojekte zu Deposit Tokens werden hier unter klar definierten rechtlichen Rahmenbedingungen erprobt. Während Stablecoins vor allem als Abwicklungs- und Treasury-Instrumente getestet werden (vgl. Jhanji et al., 2025; Schaaf, 2025), werden Deposit für vielfältige Anwendungsfelder im Interbankenmarkt und im unternehmerischen Zahlungsverkehr entwickelt (German Banking Industry Committee, 2024; Schweizerische Bankiervereinigung, 2023). In der Schweiz entstehen derzeit verschiedene Ausprägungen tokenisierter Geldformen, die auf den zuvor erläuterten Konzepten von Stablecoins und Deposit Tokens basieren. Diese Initiativen unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich ihres Emittentenprofils, der Art der Deckung sowie ihres Einsatzspektrums im Finanzsystem.

Stablecoins im Schweizer Markt

Ein prominentes Beispiel stellt der ZCHF (Frankencoin) der Mt Pelerin Group dar – ein dezentral konzipierter Stablecoin, der 1:1 an den Schweizer Franken gekoppelt ist und im digitalen Zahlungsverkehr auf der Blockchain eingesetzt wird (Gerardi, 2025).Demgegenüber beendete Bitcoin Suisse im Jahr 2024 das Projekt CryptoFranc (XCHF) aufgrund unzureichender Marktakzeptanz (Bitcoin Suisse, 2024). Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass sich bislang vor allem vollständig oder überbesicherte Stablecoin-Modelle als tragfähig erwiesen haben, wenngleich eine breitere Marktdurchdringung noch aussteht. Darüber hinaus reflektieren Projekte wie jene der Centi AG oder der Frankencoin Initiative die wachsende Vielfalt an Stablecoin-Konzepten im Schweizer Markt (Centi Ltd., 2024; Frankencoin, 2025). Der LVGA Token der Stadt Lugano repräsentiert einen lokalen, an den Schweizer Franken gebundener Stablecoin, der durch städtische Vermögenswerte gedeckt ist und im Rahmen der Smart-City-Initiative Plan B als digitales Zahlungsmittel dient (Città di Lugano, 2025).

Deposit-Token im Schweizer Markt

Aufseiten des Bankensektors gewinnen Deposit Tokens zunehmend an strategischer Bedeutung, da sie eine regulierte und programmierbare Form von Buchgeld darstellen.
Die Sygnum Bank und die SIX Digital Exchange (SDX) haben mit dem Digital CHF (DCHF) und dem tokenised CHF (tCHF) zwei Token geschaffen, die vollständig durch Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank gedeckt sind und somit eine besonders stabile und vertrauenswürdige Wertbasis bieten (Sygnum Bank, 2020; Schweizerische Bankiervereinigung, 2025c). Nach Einschätzung der Schweizerischen Bankiervereinigung werden Deposit Tokens mit vielfältigen Anwendungsfeldern im Interbankenmarkt sowie im unternehmerischen Zahlungsverkehr entwickelt (German Banking Industry Committee, 2024; Schweizerische Bankiervereinigung, 2023). Im September 2025 führten UBS, PostFinance und Sygnum Bank gemeinsam mit der Schweizerischen Bankiervereinigung die erste rechtsverbindliche Interbank-Transaktion mittels Deposit Tokens auf einer öffentlichen Blockchain durch. Der Ergebnisbericht beschreibt eine permissioned Struktur mit klar definierten Rollen, Governance-Regeln und Mint- sowie Burn-Mechanismen sowie eine technische Kopplung an das Swiss Interbank Clearing System (SIC) (Schweizerische Bankiervereinigung, 2025a; 2025b; Sygnum Bank, 2025). Damit wurde eindrucksvoll demonstriert, dass Deposit Tokens rechtsverbindlich, interoperabel und operativ belastbar eingesetzt werden können.

Die Entwicklungen in der Schweiz zeigen, dass sich Stablecoins und Deposit Tokens als zentrale Formen tokenisierten Geldes mit unterschiedlichen Funktionen herausbilden. Stablecoins werden primär zur digitalen Wertaufbewahrung und Zahlungsabwicklung eingesetzt, insbesondere in Anwendungen, die auf Blockchain-Technologie basieren. Deposit Tokens hingegen werden im regulierten Bankensektor entwickelt und dienen der sicheren, programmierbaren Abwicklung von Transaktionen im institutionellen und unternehmerischen Umfeld. Beide Ansätze können zur Effizienzsteigerung, Transparenz und Automatisierung im Zahlungsverkehr beitragen und die Weiterentwicklung des digitalen Finanzplatzes Schweiz fördern.

Implikationen für Banken durch Stablecoins und Deposit Tokens

Strategische Implikationen: Die aktuellen Entwicklungen rund um regulierte Stablecoins und Deposit Tokens markieren den Übergang von der konzeptionellen Erprobung zur produktiven Marktreife. Banken müssen Kompetenzen aufbauen, um tokenisierte Zahlungsprozesse sicher, regelkonform und integriert bereitzustellen (vgl. McKinsey & Company, 2025). Institute, die frühzeitig Expertise entwickeln, können ihre Rolle als vertrauenswürdige Intermediäre im entstehenden digitalen Finanzsystem festigen (vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2024). Dabei stellt sich die strategische Frage, ob sie Stablecoins selbst emittieren, als Verwahr- oder Abwicklungsstelle agieren oder die technische Infrastruktur bereitstellen wollen. Innovations- und Technologiekompetenz wird damit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für die künftige Wettbewerbsfähigkeit.

Prozessuale Implikationen: Mit der Einführung von Stablecoins und Deposit Tokens verändert sich auch die operative Logik des Zahlungs- und Liquiditätsmanagements grundlegend (vgl. BIS & CPMI, 2024). Transaktionen werden nicht mehr in Batch-Prozessen, sondern in Echtzeit auf Basis digitaler Token abgewickelt. Dadurch entfallen zeitliche Puffer zwischen Zahlungsanweisung, Verbuchung und Wertstellung. Für das Treasury bedeutet dies, dass Intraday-Liquidität kontinuierlich überwacht und gesteuert werden muss, um Liquiditäts- und Refinanzierungsrisiken zu vermeiden (vgl. PYMNTS, 2025).

Technologische Implikationen: Die Einführung von Stablecoins und Deposit Tokens erfordert zudem eine technologische Erweiterung bestehender Zahlungs- und Abwicklungssysteme (Financial Stability Board, 2024). Banken müssen Architekturen entwickeln, die eine Interoperabilität zwischen traditionellen Kernsystemen und dezentralen, DLT-basierten Infrastrukturen gewährleisten (vgl. Bank for International Settlements, 2025). Der technologische Wandel verlangt gezielten Kompetenzaufbau, um Innovationen sicher, effizient und regulatorisch konform in die Geschäftsmodelle zu integrieren.

Übergreifende Implikationen: Darüber hinaus ist eine Unternehmenskultur erforderlich, die technologische Offenheit mit regulatorischer Integrität verbindet. Der Aufbau von Wissen über digitale Geldformen und deren Auswirkungen wird zur dauerhaften Lernaufgabe auf allen Ebenen der Organisation. In einem zunehmend tokenisierten Finanzsystem wird Anpassungsfähigkeit zu einer zentralen Voraussetzung, um Innovation und regulatorische Kohärenz langfristig in Einklang zu bringen.

Fazit

Die Einführung regulierter Stablecoins und Deposit Tokens markiert eine strukturelle Transformation in der Weiterentwicklung des Finanzsystems. Anstatt bestehende monetäre und abwicklungstechnische Strukturen zu ersetzen, erweitern und stärken diese Instrumente sie durch höhere Programmierbarkeit, Interoperabilität und technologische Effizienz. Die Schweiz positioniert sich dabei als führender Standort für die Integration programmierbarer Geldformen in bestehende Finanzmarktinfrastrukturen. Für Banken entsteht daraus eine umfassende Transformationsaufgabe, die den koordinierten Ausbau strategischer, technologischer und regulatorischer Kompetenzen erfordert. Die zentrale Herausforderung wird darin bestehen, diesen Transformationsprozess mit der fortlaufenden Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen, um Innovation, Stabilität und Vertrauen in einer zunehmend digitalisierten Finanzarchitektur dauerhaft zu sichern.

Quellen:

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Bank for International Settlements (BIS). (2022). Annual economic report 2022 – Chapter III: The future monetary system. https://www.bis.org/publ/arpdf/ar2022e3.pdf

Basel Committee on Banking Supervision. (2024). Digitalisation of finance. Bank for International Settlements. https://www.bis.org/bcbs/publ/d575.pdf

Bitcoin Suisse. (2025). CryptoFranc (XCHF) – Der Schweizer Franken Stablecoin. https://www.bitcoinsuisse.com/de/cryptofranc

Centi Ltd. (2024). Centi Franc the CHF Payment Token. Centi. https://centi.ch/centi-franc/

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German Banking Industry Committee (GBIC). (2023). Working paper on Commercial Bank Money Token. German Banking Industry Committee. V. 1.5. https://www.bvr.de/p.nsf/0/8D37682344F86166C1258990002D677A/\$file/20230317_GBIC_Working%20Paper%20on%20Commercial%20Bank%20Money%20Token_V1.5.pdf

Jhanji, K., Burchardi, K., Zhang, Y. H., Bravo, C., Hung, T., Kronfellner, B., & Samad, H. (2025, Mai). Stablecoins: Five killer tests to gauge their potential (White Paper). Boston Consulting Group. https://media-publications.bcg.com/Stablecoins-five-killer-tests-to-gauge-their-potential.pdf

Benjamin Schaefer